Datas alternative Wiedergeburt
von Andrej Schwabe, 26.07.2021
Inhalt:
4 Jahre nach "Nemesis" werden die
Soong-Androiden von Unbekannten aus dem Labor von Captain Bruce
Maddox auf Galor IV gestohlen. Die Sternenflotte hat nun Sorge,
dass die Androiden von Feindseligen für den Bau von neuen Androiden
missbraucht werden könnten. Plötzlich taucht ein offenbar
modifizierter Androide auf Galor IV auf, dessen Verfolgung aber
erfolglos endet. Als ein Schiff vom Planeten aufsteigt, geht die
Enterprise auf Verfolgungskurs und landet schließlich in einem
fernen Sternensystem mit unwirtlichen Planeten. Dort findet die
Enterprise-Besatzung den flüchtigen Androiden, der sich als Datas
Vater, Dr. Noonien Soong vorstellt und ihr seine Lebensgeschichte
erzählt. Kurz vor seinem körperlichen Tod (TNG
"Brothers") hat er sein
Bewusstsein in einen neuartigen Androiden hochgeladen. Seitdem
verfolgte er das Leben seiner Frau Juliana (ebenfalls eine
Androidin, die seiner echten Frau nachempfunden ist) und das
von Data. Sein Ziel ist es, Datas Erinnerungen zu retten. Und er
hat herausgefunden, wer die Androiden gestohlen hat.
Kritik:
Picard und Data gehören zu den beliebtesten Charakteren von TNG und
so war es nur folgerichtig, dass die erste Staffel der neuen Serie
"Picard" die Verbindung zwischen beiden als zentrales Thema
aufgriff. Allerdings musste man als Zuschauer und Leser der Romane
dabei in Kauf nehmen, dass Datas Schicksal wohl doch anders
verlaufen ist, als in diesem Roman dargestellt.
Denn in "Die Beständigkeit der Erinnerung" stellt sich heraus, dass
Datas Vater Dr. Noonien Soong wider Erwarten nicht gestorben ist
wie in TNG "Brothers" angedeutet,
sondern in einem neuartigen Androidenkörper weiterlebt. Er hat vor,
seinen ersten Androiden B-4 vor dem drohenden Tod zu bewahren.
Dieser leidet als simpler konstruiertes Androidenmodell unter Datas
komplexen Erinnerungen und steht deswegen kurz vor einem
Kaskadenversagen. Und während Data in "Picard" als künstliches
Neuron sein Dasein in einer langweiligen, simulierten Umgebung
fristet, hat Soong in diesem Roman ein Verfahren entdeckt, Datas
Erinnerungen auf seinen eigenen Androidenkörper zu übertragen und
ihm damit das Weiterleben zu ermöglichen.
Das Herzstück des Romans ist Soongs Geschichte seit seiner
transhumanistischen Wiederauferstehung als Androide. Literarisch
hebt sich dieser Teil durch eine für Star Trek ungewöhnliche
Ich-Perspektive ab und einen Verzicht auf größere Action, was
wiederum für David Mack ungewöhnlich ist.
Soong wird als Getriebener porträtiert. Nach seiner Wiedergeburt
als Androide geht es ihm kurze Zeit noch um die Befriedigung seiner
langjährigen professionellen Bedürfnisse ("mein Wissen, meine
einzigartigen Talente so lange wie möglich zu bewahren"). Dabei
stellt Mack sehr schön die Arroganz und Selbstverliebtheit Soongs
heraus, die in TNG an mehreren Stellen angesprochen werden. Doch dann
nehmen ihn schnell persönliche Ziele in Beschlag. Interessant ist
der Gegensatz zwischen dem Soong vor dem Transfer und dem danach.
Auf der einen Seite verliert er organische Empfindungen und legt
zum Teil auch Emotionen ab, während andere verstärkt werden. Auf
der anderen Seite ändert sich ebenso sein Charakter: Vom genialen,
zurückgezogenen Wissenschaftler wandelt er sich zum erfolgreichen,
verschlagenen Geschäftsmann, der seiner ehemaligen Frau
hinterherjagt.
Ungewöhnlich ist für Mack, dass er so intensiv auf Gefühle und
innere Ansichten eingeht. Den Transfer der Persönlichkeit Soongs
auf den Androidenkörper schildert er dem Leser im Detail, was durch
die Ich-Perspektive sehr eindringlich wirkt. Herzzerreißend ist
Soongs Tod im späteren Verlauf der Geschichte und wie Data darauf
reagiert und versucht ihm zu helfen.
Soong verfolgt das Schicksal von Juliana, der Androidin, die seiner
Frau nachempfunden ist und beim Angriff des Kristallwesens auf
Omicron Theta verstarb. Er erinnert sich an viele schöne Momente
mit ihr und diese Erinnerungen plagen ihn und treiben ihn an.
Nachdem es einem anderen Unsterblichen gelungen ist, sie nach ihrem
Tod wiederzuerwecken und für sich zu gewinnen, misslingt es Soong,
sich ihr zu nähern.
Daher wendet er sich Data zu, der im Körper von B-4 kurz vor dem
Tod steht. Am Ende des Romans wird er sein Leben geben, um die
Erinnerungen seines geliebten Sohnes zu retten. Das Buch schließt
mit einer sehr gefühlvollen Szene, die ein interessantes Gegenstück
zum Ende der ersten Staffel von "Picard" darstellt. Ein sterbender
Soong spricht mit seinem Sohn über sein Vorhaben, dessen
Erinnerungen in seinen Körper zu laden und dessen Überleben zu
sichern. In "Picard" stirbt Picard und lernt dabei den in der
Simulation gefangenen Data kennen, dem er nach seiner
Wiederauferstehung als Androide zum ersehnten Tod verhilft.
Mack wartet in diesem Roman mit einem kompakten, geradlinigen Stil
auf. Die Story ist gut ins Star Trek-Universum eingebettet und Mack
bemüht sich möglichst viele Androiden-Storyfäden aus den Serien
zusammenzubringen. Neben Bruce Maddox und Ira Graves (TNG
"The Measure of a Man" bzw.
"The Schizoid Man") wird explizit
auf die Androidenspezies von Exo III aus TOS
"Der alte Traum" Bezug genommen.
Es gibt sogar eine Art Vorwärts-Referenz, denn Picard wird später
ebenfalls durch einen ähnlichen Golem wie Soong wiederbelebt (PIC
"Et in Arcadia Ego").
Einen größeren Raum nimmt die Gemeinschaft Künstlicher
Intelligenzen ein (TNG "Immortal Coil").
In diesem Zusammenhang taucht immer wieder Emil
Waslowick auf, der unsterbliche Mr. Flint aus TOS
("Requiem for Methuselah")
der Soongs Mentor sein soll.
Unbestritten sind Macks Schreibkünste: Immer wieder wechseln sich
ruhigere Passagen mit spannenderen, mehr actionlastigen Passagen
ab, sodass man sich als Leser gut unterhalten fühlen kann.
Der Story liegt aber auch ein grundlegendes Logikproblem zugrunde,
weil wichtige TNG-Ereignisse rund um Data und die anderen
Soong-Androiden aus Soongs Perspektive nacherzählt werden müssen.
Soong ist immer in der Nähe oder lässt sich informieren, wenn
irgendetwas mit seinen Schützlingen passiert, greift aber nie ein,
selbst in brenzligen Situationen nicht. Außerdem bringt das
Nacherzählen von TV-Episoden dem Roman vermeidbare Längen ein.
Das Ende ist leider recht unbefriedigend. Unnötigerweise wird noch
ein Actionplot aufgemacht, um Soong sterben lassen zu können. Man
trifft auf eine Androidenarmee, die von Lore und den ihm ergebenen
abtrünnigen Borg erschaffen wurde (TNG
"Descent"). Was für sich
schon weit hergeholt wirkt, wird kurz darauf wieder relativiert,
weil die Androiden nur halb funktionsfähig sind. So darf Soong die
Armee dann im richtigen Moment besiegen, indem er sie einfach
neustartet - er bleibt halt ein Androidengenie.
Während alle von der Enterprise-Crew eine erfüllte Partnerschaft
gefunden zu haben scheinen (Picard mit Beverly Crusher und ihrem
zeweijährigen Sohn René, Will Riker und Deanna Troi auf der
Titan, und überraschenderweise sogar Geordi mit der Ärztin Dr.
Tamala Harstad), geht der Roman bitter für Worf aus. Denn seine
Freundin Sicherheitschefin Lt. Choudry wird ermordet - nach
K'Ehlyr, in einer anderen Zeitlinie auch Deanna Troi
(TNG "All Good Things") und
Jadzia Dax.
Obwohl sich am Ende alle von der Enterprise-Crew darüber freuen,
dass Data zurück ist, lehnt der Androide unerwarteterweise Picards
Angebot ab, wieder als Offizier an Bord zu kommen. Er will sich der
Suche nach dem mysteriösen Unsterblichen Waslowick widmen, von dem
er sich erhofft, dass er seine geliebte, verstorbene Tochter Lal
wiederauferstehen lassen kann.
Infos:
Star Trek: The Next Generation
Band 8
Titel: Kalte Berechnung, Buch I - Die Beständigkeit der Erinnerung (Cold Equations - The Persistance of Memory)
Autor: David Mack
Erscheinungsjahr: Deutschland: 2015, USA: 2012
Deutsche Übersetzung von Wibke Sawatzki
Preis: 12,80 €
Cross Cult Verlag
Mit freundlicher Unterstützung vom Cross Cult Verlag
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