Star Trek am Scheideweg
von Andrej Schwabe, 15.03.2003
Nach vier langen Jahren des Wartens erschien am 16. Januar 2003 der zehnte und angesichts des finanziellen Debakels wahrscheinlich letzte TNG-Film "Nemesis". Für die Romanadaption fand sich schnell Jeanne M. Dillard bereit, deren erste Star Trek-Film-Adaption "Am Rande des Universums" war. Das Drehbuch schrieb John Logan, der sich selbst als großer Trekkie bezeichnet und zuletzt die Story zu "Gladiator" verfasste.
Handlung:
Hinläufig bekannt, aber für alle Unwissenden noch mal wiederholt: Während Riker und Troi heiraten, empfängt die Enterprise positronische Signale auf einem Planeten nahe der romulanischen Grenze. Es stellt sich heraus, dass dort ein weiterer Androide aus Soongs Laboren verschollen gegangen ist.
Doch offenbar ist dies ein Trick, um die Enterprise in den Einflussbereich von Shinzon zu locken, dem neuen romulanischen Prätor. Und dieser hat ganz eigene Pläne mit der Enterprise und vor allem mit Captain Picard, denn er ist dessen Klon.
Kritik:
"Star Trek: Nemesis" ist nun inzwischen auch in Deutschland ein viel diskutierter Film, der eine Entwicklung im Star Trek-Universum wie bei den Fans auf die Spitze treibt.
Star Trek hat inzwischen so viele Ableger, dass man an jeder Serie ziemlich gut den herrschenden Zeitgeist ablesen kann. Die stürmischen Jahre von TOS, die ruhigen 80er in TNG und die immer radikaler werdenden jungen Spin-Offs DS9, VOY und schließlich ENT. Und so ist auch der aktuelle Kinofilm ein Schritt hin zu mehr Action und einer weg von der Diskussion (und meiner Meinung nach sind die Zwiegespräche zwischen Shinzon und Picard einfach nur plakative, schön geschriebene Dialogszenen, die aber nicht ausschlaggebend sind für die Handlung). Das reelle Gegenstück zeichnet sich zur Zeit sehr deutlich in der Irak-Krise ab, in der die USA nicht den verhandelnden Part haben, sondern eher den eigensinnig agierenden Part. Und zum Beispiel DS9 hat ja auch großen Fan-Zulauf bekommen, als die Handlung um den Dominion-Krieg begann.
Nicht, dass (Sozial-)Kritik schon immer groß auf den Fahnen von Star Trek stand, dann eher schon das Abenteuer, aber trotz alledem gab es immer kritische Töne, die aber vor allem im Zuge der immer besser werdenden Computer-Effekte sträflichst vernachlässigt wurden. Dass man es aber auch anders machen kann, hat 1991 der sechste Star Trek-Film bewiesen, der beides in passenden Mengen enthielt.
Ein großes Problem von "Nemesis" (sowohl als Film auch als Buch) sind wohl die Ungereimtheiten und nicht nur kleine, sondern vor allem auch richtig augenfällige. In dem Film kollidieren ohne Probleme Schiffe, die beide Schilde haben, sehen die Jeffries-Röhren völlig anders aus als in jeder Episode/Film oder als auf jedem Schiff, das wir bisher sehen durften, hat Troi plötzlich ungeahnte telepathische Fähigkeiten, fehlt Lwxana Troi auf der Hochzeit ihrer Tochter, lässt sich der gesamte romulanische Senat von einer Bombe umbringen, ist Worf auf einmal kein klingonischer Botschafter mehr, sondern Starfleet-Offizier, lassen sich die sonst so übermächtigen Romulaner von einem kleinen Sklavenvolk (die Remaner wurden natürlich noch nie erwähnt, und sind im
TOS-Roman "Die Romulaner" völlig normale Romulaner) um ihre eigene Macht bringen und ist Picard aggressiver als je zuvor. Wer nach weiteren Beispielen sucht, dem sei wärmstens
www.mytrek.de/nemsis empfohlen. Herr Logan brüstet sich im Vorwort damit, sich besser in Star Trek auszukennen als der langjährige Produzent Rick Berman (was ich nebenbei gesagt ihm auch glaube), aber wer alle Folgen von Star Trek kennt, der sollte auch wissen, dass Wesley inzwischen mit dem Reisenden unterwegs ist und nicht auf der USS Titan arbeiten kann!
Logan hat obendrein keine Skrupel, bei den anderen Filmen zu klauen (was er auch freimütig zugibt). Aus dem zweiten Star Trek-Film kommt die Schlacht im Nebel, Datas heroischer Tod am Ende, die alternde Crew und Shinzon als ganz persönliche Nemesis, aus dem sechsten das Raumschiff das auch getarnt schießen kann. Dass die Enterprise das einzige Schiff in Reichweite ist, mag man ja noch als nette Hommage verstehen, aber wie die riesige Starfleet-Flotte am Ende auftaucht, ist schon nicht mehr klar, geschweige denn wie Picard und Data Shinzon so einfach entwischen können.
Während die Hochzeit am Anfang noch ganz nett und erfrischend ungewohnt ist und Picard seinen "Fitnessraum"-Witz reißt, ist die Welt ja noch in Ordnung, aber ab da geht's bergab: Ausnahmslos alle Charaktere außer Picard und Data sind unterrepräsentiert und wirken wie Pappfiguren. Kein einziger Verweis auf die Zeit zwischen dem neunten und dem zehnten Film wird gemacht, keine Veränderung zur Fernsehserie ist ihnen anzumerken, obwohl gewiss so viel passiert ist: Warum geht Beverly zum Medi-Korps der Flotte? Was hat Worf zu Starfleet zurück gebracht? Was ist mit seinem Sohn Alexander? Was ist mit Troi und Riker passiert? Anstelle von gigantischen Weltraumschlachten, die den halben Film füllen, hätte ich lieber ein paar mehr private Minuten gesehen.
Shinzon selbst ist als Gegner schon nicht mehr ernst zu nehmen, seitdem Logan ihn in eine Reihe mit Khan gestellt hat. Mag sein, dass er das Format dazu gehabt hätte. Als Zuschauer/Leser konnte ich mich jedenfalls nicht mit ihm identifizieren oder seine Taten nachvollziehen, weil ich mich erst in die Situation reingeschmissen fühlte, dass Picard einen Klon hat. Na gut, das ist ja trotzdem noch verzeihlich, wenn Logan sich dann ein wenig mit interessanten Fragen beschäftigt hätte, die jedem echten Fan auf der Seele brennen: Z. B. hätte der Tod von Picards Bruder und seiner Familie im siebten Film die Klongeschichte in ein anderes Licht gerückt und weiter das Problem der Einmaligkeit von Picard, dem er im zehnten Film aber anscheinend wenig Beachtung schenkt. Was jedoch folgt, ist ein Reigen von diversen Schlachten, allesamt begründet in sinnloser Zerstörungswut beiderseits.
Problematisch finde ich auch Shinzon äußerliches Auftreten, das im Buch zwar eine untergeordnete Rolle einnimmt, aber im Film es schwierig macht, überhaupt Ähnlichkeiten zwischen den beiden zu entdecken (außer der Steffi-Graf-Nase, wie
Torsten Dewi treffend schreibt). Das rückt auch das Jugend-Foto, das Picard Beverly zeigt, in die Rubrik "peinlich", da wir schon aus
TNGs "Willkommen im Leben nach dem Tod" wissen, dass Picard in jungen Jahren durchaus noch Haare hatte.
Ebenfalls unpassend fand ich die Auto-Rally auf dem Planeten, wo man den zweiten Androiden findet. Ich frage mich, warum man ein Auto benötigt, wenn man ein Shuttle hat. Und auch warum die Sternenflotte im hinteren Teil ein vollständig bewegliches Phaser-Maschinengewehr installiert hat! Ist das noch Star Trek? Und warum hat Data die Fernbedienung für das Shuttle? Und warum sehen die Planeten-Aliens alle aus wie Remaner? Und warum beschießen Picard und seine Leute diese einfach?
Um die Rubrik vollständig zu machen, möchte ich noch den Gastauftritt unserer heiß geliebten Kathryn Janeway mit anbringen, die aus mir unerfindlichen Gründen inzwischen Admiral ist und Picard Befehle gibt.
Um den Roman 8,95 € kosten lassen zu können, hat Heyne noch eine kleine Bildergalerie eingefügt sowie einen 30-seitigen Making-Of-Teil am Ende, der für alle Internet-User nichts Neues bringt und außer Lobesreden kaum Hintergrundinformationen oder Anekdoten aus dem Drehalltag darzubringen in der Lage ist.
Die Roman-Autorin J. M. Dillard kann natürlich an solch einem kuriosen Film auch nicht mehr viel schön schreiben, versucht aber wenigstens sich mehr Zeit zu nehmen, Details zu klären und rausgeschnittene Szenen zu integrieren. Auf diese Weise erklärt sich Datas Emotionslosigkeit im zehnten Film (Emo-Chip durchgebrannt), kommt wenigstens ein wenig familiäre Atmosphäre auf und hinterlässt auch Datas Tod mehr Eindruck als die 30-Sekunden-Trauer-Sequenz im Film. So richtig konnte sie sich wahrscheinlich aber auch nicht erklären, was der Fund von Datas Androiden-Bruder B4 für einen Sinn hatte oder wodurch Shinzon motiviert wurde.
Nachdem ich soviel Kritik ausgeteilt habe, möchte ich aber noch die sehr gute Kameraarbeit und die schönen Effekte des Films loben, genauso wie die prächtigen Kulissen (zum Beispiel der Romulanische Senat). Auch wenn alles so dunkel aussieht, als ob Starfleet kein Geld mehr für die gefahrlose Ausleuchtung ihrer Schiffe ausgeben möchte.
Fazit: Wer aus dem Film enttäuscht herausgegangen ist, sollte sich auch nicht überlegen, dieses Buch zu kaufen. Wer allerdings Spaß hatte, der wird mit diesem Roman eine schöne Zeit haben.
Infos:
STAR TREK - The Next Generation, Band 77
Titel: Nemesis (Nemesis)
Autor: J. M. Dillard
Erscheinungsjahr: Deutschland: 2002, USA: 2002
Deutsche Übersetzung von Andreas Brandhorst
Preis: 8,95 €
Wilhelm Heyne Verlag, München