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TNG 7.13 Die oberste Direktive


Homeward

von Yann-Patrick Schlame

Episodenbeschreibung

Sternzeit: 47423,9
Die Enterprise erhält einen Notruf von Boraal II. Auf jenem Planeten, dessen Bewohner sich noch in einer frühen Phase der Entwicklung befinden, arbeitet Worfs Bruder Nikolai Rozhenko als Kulturbeobachter.
Als man eintrifft, erkennt Data, dass sich die Atmosphäre des Planeten in wenigen Tagen aufgelöst haben wird; schon jetzt toben auf der Oberfläche Strahlungsstürme, und in der Umgebung des Planeten kommt es zu intensiven plasmonischen Reaktionen, die das Schiff erschüttern und für Energiefluktuationen sorgen, allerdings keine ernste Gefahr für die Enterprise darstellen. Data erläutert, dass eine solche Atmosphärenauflösung ein seltenes und schnell vonstatten gehendes Phänomen ist und Nikolai den Notruf wohl deshalb erst so spät absetzte. Da man ihn nicht in seinem Posten, den er als Beobachter nicht verlassen sollte, orten kann, es aber dafür einen atmosphärischen Schild um eine Höhle gibt, bittet Worf darum, ein Außenteam anführen zu dürfen, um seinen Bruder zu suchen. Picard beschließt, Worf alleine zu schicken, da ein Team zu viel Aufmerksamkeit unter den Bewohnern verursachen würde.

Nachdem Worf von Dr. Crusher chirurgisch an das Aussehen der Boraalaner angepasst wurde, beamt er in die Höhle. Er trifft einige Einheimische, unter denen auch sein Bruder ist. Nachdem sich Worf und Nikolai begrüßt haben, verlangt Worf eine Erklärung für den atmosphärischen Schild. Nikolai erläutert, dass er den Schild in der Höhle installiert und die Bewohner eines Dorfes dort hineingeführt hat, um sie vor dem sicheren Tod zu retten. Nun möchte er, dass sie von der Enterprise an einen sicheren Ort gebracht werden. Mit Worf verlässt er die Dorfbewohner, verspricht ihnen aber, bald mit Nahrungsmitteln zurückzukommen.

Auf der Enterprise wird sodann eine Besprechung einberufen, in der Nikolai dem Captain vorschlägt, die Dorfbewohner an Bord zu beamen, bevor die Atmosphäre sich auflöst, damit man wenigstens einige Boraalaner retten kann. Doch Picard ist an die Oberste Direktive der Sternenflotte gebunden, welche strikte Nicht-Einmischung in die Entwicklung anderer, weniger weit entwickelter Kulturen besagt. Eine Evakuierung auch nur einer kleinen Gruppe von Boraalanern wäre ein schwerer Verstoß gegen die Oberste Direktive, deren primärer Zweck es ist, die Föderation gewissermaßen vor sich selbst zu schützen. Nikolai argumentiert, dass die Boraalaner über eine reichhaltige und erhaltenswerte Kultur verfügen, doch Picard kann nichts für sie tun.

So beobachtet man nicht lange danach, wie sich die Atmosphäre in einem schnellen Vorgang endgültig auflöst. Es kommt kurz zu einer unerklärlichen Bildstörung, die Data jedoch schnell beheben kann. Als man Kurs auf Sternbasis 87 setzt, gibt es einen Energieabfall auf Deck 10. Picard schickt Worf, um nach dem Rechten zu sehen.
Die Tricorderanzeigen führen Worf direkt zu Holodeck 5, wo zu seinem Erstaunen ein geschütztes Programm läuft, zu dem er selbst mit seinen Sicherheitscodes keinen Zutritt erhält. Doch als sich die Tür öffnet, tritt er ein und erblickt Nikolai inmitten einer Simulation der Höhle auf Boraal II - in der sich echte Boraalaner befinden. Nikolai erklärt, dass er den Transport durchgeführt und die Interferenzen als Störungen auf dem Bildschirm auf der Brücke getarnt hat, damit niemand etwas davon mitbekommt. Mit Worfs Hilfe will er den Boraalanern ein neues Zuhause suchen. Doch Worf muss Picard von dieser Situation informieren.

Dem schmeckt die Sache gar nicht. Obgleich er wütend auf Nikolai ist und ihm schwere Konsequenzen androht, muss er sich zunächst einmal um das vordringliche Problem kümmern: Die Boraalaner brauchen ein neues Zuhause. Data meint, er bräuchte etwa 9 Stunden, um einen geeigneten Planeten der Klasse M zu finden. Problematisch ist, dass wegen der plasmonischen Reaktion die Holoemitter beschädigt wurden und den Betrieb nicht mehr lange aufrecht erhalten können.

Indes kehren Nikolai und Worf, den die Boraalaner ja bereits kennen, aufs Holodeck zurück. Nikolais Plan sieht vor, dass er die Dorfbewohner durch ein Höhlensystem an einen sicheren Ort führt, wobei sie die Wanderung nur auf dem Holodeck unternehmen. Wenn ein geeigneter Planet gefunden ist, sollen sie dort auf die Oberfläche gebeamt werden, ohne etwas von ihrer Reise mit der Enterprise zu ahnen. Also sagt er den Boraalanern, ihr Dorf wäre zerstört, und man müsste bald aufbrechen. Von ihm und Worf geführt, machen sie sich abmarschbereit.

Währenddessen haben Data und Dr. Crusher zwei Planeten in die engere Wahl gezogen: Sie entscheiden sich gegen Drago IV, da dieser Planet nah am cardassianischen Raum liegt, wo es häufig zu Grenzstreitigkeiten kommt; Vacus VI im Kabral-Sektor scheint wesentlich günstiger. Bei Maximum Warp dauert der Flug dorthin 42 Stunden, also zögert Picard nicht, den Befehl zum Beschleunigen zu geben, denn im Holodeck sind bereits Fehlfunktionen aufgetreten, die Worf, den die Boraalaner für einen "Seher" halten, als ein Omen deutet und damit die Situation gerade noch retten kann.

Vorin, der Schriftführer und Chronist des Dorfes, hat in den Höhlen einen Teil seiner Aufzeichnungen verloren und macht sich vor dem Weitermarsch auf die Suche nach ihnen. Zu seinem Erstaunen verschwindet plötzlich vor seinen Augen die Felswand und gibt dahinter ein leuchtendes Muster zu erkennen. Mutig geht er voran, bis noch mehr Fels sich scheinbar auflöst, und steht vor einem seltsamen metallenen Konstrukt, der auseinandergleitet und ihn den Blick auf einen einheitlichen Korridor werfen lässt, in dem jede Menge fremdartig aussehende und komisch gekleidete Leute an ihm vorbeigehen, ohne Notiz von ihm zu nehmen. Er betritt den Gang und folgt ihm bis zu einer weiteren Tür, diesmal aus Holz und mit runden Fenstern darin, die sich ihm ebenfalls öffnet. Er betritt einen großen Raum, in dem sich noch mehr Fremde aufhalten, von denen ihn nun mehrere ansprechen. Verängstigt zieht er sich in eine Ecke zurück...
... Troi und Riker beobachten, wie einer der Boraalaner das Zehn Vorne betritt und sich sichtlich unwohl fühlt bei all den unglaublichen Eindrücken. Troi ruft die neugierigen Crewmitglieder zurück und erklärt Vorin mit freundlichen Worten, dass er nichts zu befürchten hat. Er vertraut ihr und lässt sich auf die Krankenstation bringen.

Crusher hat bald darauf schlechte Nachrichten für Picard: Aufgrund der für sie ungewöhnlichen neuralen Physiologie der Boraalaner ist sie nicht in der Lage, Vorins Kurzzeitgedächtnis zu löschen. Also erklärt ihm Picard die Lage, berichtet von der Zerstörung der Atmosphäre und von dem Transport der Boraalaner, erwähnt auch die Oberste Direktive, die es ihm eigentlich verbietet, Kontakt mit ihnen herzustellen. Er lässt Vorin trotzdem die Wahl, ob er zu seinen Leuten zurückkehren möchte, oder ob er sich mit dem Gedanken anfreunden könnte, auf der Enterprise zu bleiben und ein völlig neues Leben zu beginnen. Vorin erhält vorläufig ein Quartier, damit er in Ruhe über seine Lage und die möglichen Konsequenzen für ihn und die anderen nachdenken kann, sollte er sich zur Rückkehr entschließen - wenn er von seinem Erlebnis berichtet, könnte er für verrückt gehalten werden, erzählt er es nicht, müsste er es für alle Zeiten als Geheimnis bewahren.

Auf dem Rücken eines Felsgrates (auf dem Holodeck) wird indes die Wanderung fortgesetzt, die Gruppe hat inzwischen die Höhlen verlassen. Dubara, eine der Boraalanerinnen, bekommt mit, dass Worf und Nikolai sich erneut streiten. Sie nimmt Worf beiseite und bittet ihn, sich mit Nikolai, der sich seit Worfs Eintreffen ihrer Einschätzung nach merkwürdig verhält, zu versöhnen - immerhin wird Worf der Onkel ihres Kindes!
Erbost beginnt Worf einen weiteren Streit mit Nikolai über dessen Gewissenlosigkeit, ein Kind mit einer Boraalanerin zu haben. Nikolai meint, er hätte bei diesem Volk seine Wunschheimat gefunden und sich in Dubara verliebt; nun könnte er die Gruppe nicht mehr verlassen.
Bevor der Streit handfest wird, bricht die Holomatrix zusammen, die Dorfbewohner fürchten erneut ihren scheinbar sicheren Tod. Mittels Kommunikator teilt Worf Geordi, der noch in den Vorbereitungen für den Transport der Gruppe auf ihre neue Heimat steckt, mit, dass man das Beamen nicht mehr länger hinauszögern könne. Geordi programmiert im Holodeck einen Sturm, und Worf und Nikolai treiben die Gruppe in die Zelte. Als es soweit ist, lassen sie sich alle zusammen hinunterbeamen, wo bestes Wetter herrscht. Nikolai meint, Worf, der Seher, hätte den Sturm nun für immer vertrieben, und sie wären in Sicherheit.

Picard bekommt noch eine letzte schlechte Nachricht: Vorin hat sich im Quartier auf scheinbar rituelle Weise das Leben genommen. Offensichtlich war er der Meinung, nicht mit seinem Wissen über die Fremden leben zu können, genausowenig, wie er sein Volk hätte verlassen können.

Als es für Worf Zeit ist, auf die Enterprise zurückzukehren, sieht er endlich ein, dass Nikolais Platz hier bei den Boraalanern - und seiner Frau - ist. Mit versöhnlichen Worten und einer herzlichen Umarmung gehen die beiden auseinander, wobei Nikolai darum bittet, dass Worf seine Entscheidung ihren Eltern erklärt, was Worf ihm verspricht.




Bewertung

Nachdem bereits in den vorigen Staffeln die Oberste Direktive der Föderation immer wieder aufgegriffen wurde, gibt es hier nun auch die Episode mit dem dazugehörigen Namen - zumindest in der deutschen Fassung. Der Originaltitel "Homeward" ("Heimwärts") ist trotzdem ungleich zutreffender und, wie bei den Originaltiteln üblich, auf mehrere Weisen deutbar. Wie dem auch sei, die erneute kontroverse Thematisierung der Obersten Direktive sorgt für eine unterhaltsame Episode mit zwei wesentlichen Handlungssträngen: das Verhältnis von Worf zu seinem Bruder und eben die Probleme mit der Obersten Direktive.

Zum Verhältnis Worf - Nikolai: Nikolai ist der leibliche Sohn von Sergeij und Helena Rozhenko, die den jüngeren Worf adoptierten, nachdem er als einziger Überlebender des Khitomer-Massakers gefunden wurde, bei dem die Romulaner auf hinterhältige Weise einen klingonischen Außenposten angriffen (siehe "Die Sünden des Vaters", dritte Staffel). Worf erklärt Picard, dass Nikolai stets antiautoritär war und ein Studium an der Sternenflottenakademie abbrach (siehe auch "Worfs Brüder"), obgleich er in mancher Hinsicht genial war. Nikolai spricht dies auch an, allerdings aus einem anderen Blickwinkel: Er meint, dass er nie in der Lage war, mit dem tapferen und stolzen Worf mitzuhalten, der stets sein Wort hielt und der Liebling seiner Eltern war.
Der Zuschauer erfährt, dass die beiden in ihrer Kindheit oft miteinander gestritten haben und diese Dispute wohl noch in die Gegenwart mitschleppen, schließlich beginnen sie schon bei ihrer ersten Begegnung seit vier Jahren, sich sofort in die Haare zu kriegen.
Diese Streitereien, bei denen es Worf meist darum geht, dass Nikolai Befehle und Regeln missachtet, während Nikolai ihm vorwirft, sich zu sehr daran zu halten, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Episode und sind recht glaubwürdig dargestellt: Im Prinzip sind sich die Brüder sympatisch, doch sind sie zu unterschiedlich, um sich ohne Weiteres miteinander zu vertragen.
Als sich am Schluss zeigt, dass die beiden es in gemeinsamer Arbeit geschafft haben, die Boraalaner sicher durch die (Holo-) Höhlen zu führen und ihnen eine neue Heimat zu geben, ohne dass die Dorfbewohner die Täuschung bemerkten, erkennen sie aber auch die Gemeinsamkeiten, und Worf gibt zu, dass diese Gruppe ohne Nikolais Einsatz auf Boraal gestorben wäre. Auch Nikolai findet freundliche Worte, und so hat die Episode in dieser Hinsicht ein Happy End.

Die Story mit der Obersten Direktive ist insofern spannend, als dass einem hier einmal mehr vor Augen geführt wird, dass die Direktive auch ihre Schattenseiten hat. Als sie formuliert wurde, ging es darum, dass sich die Föderation nicht wie ein Göttervolk aufführt, indem sie weniger weit entwickelten Kulturen, also insbesondere solchen, die noch nicht über interstellare Raumfahrt verfügen, Technik zur Verfügung stellt, die deren natürliche Entwicklung beeinflusst, und sei der mögliche Nutzen noch so positiv. Diese Direktive macht natürlich Sinn, und im größeren Rahmen des Universums betrachtet versteht man wohl auch, dass es zu unabsehbaren Folgen führen kann, wenn man andere Kulturen mit Hilfe der überlegenen Technik vor dem sicheren Untergang bewahrt.
Doch die Analogie zu unserer Welt liegt natürlich auf der Hand: Die Eingriffe, die der Mensch in die Natur vorgenommen hat, in der Annahme, Gutes zu tun, haben sich allzu oft als schadhafter erwiesen, als es ein Nicht-Eingreifen gewesen wäre. Als Beispiele seinen genannt: Pestizide, die neben den schädlichen Wirkungen für den (menschlichen) Konsumenten auch noch gezielt einzelne Insektenarten vernichten, wodurch ein eigentlich gesundes Ökosystem nachhaltig geschädigt wird, oder z.B. Waldbrände: Nach neueren Erkenntnissen ist es für einen gesunden Wald langfristig nicht nur ungefährlich, sondern sogar gesund und notwendig, dass er in bestimmten Abständen niederbrennt (künstl. Ursachen natürlich ausgenommen).
Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts begannen wir die Konsequenzen unserer Wegwerfgesellschaft zu begreifen, die in ihrem Weltverbesserungswahn ganze Flüsse "begradigt" etc.
Trek geht nun mit gutem Beispiel voran: Auf den galaktischen Maßstab bezogen soll die Oberste Direktive genau dieser typisch menschlichen Überheblichkeit vorbeugen und damit Katastrophen verhindern, die man erst nachträglich überhaupt erkennt.
Doch im Einzelfall ist es für die Beteiligten schwer nachzuvollziehen, weshalb die hilflose Bevölkerung eines ganzen Planeten sterben soll, ohne die geringste Chance auf Rettung zu haben, obwohl es der Föderation ein Leichtes sein sollte, zumindest einen Großteil der Bevölkerung zu retten. Die edlen Motive der Obersten Direktive wirken hier falsch und bösartig.
Nikolai, ohnehin kein Fan von Regeln, ignoriert nun diese Direktive und rettet zumindest die Wenigen, mit denen er selbst Kontakt hatte.
In diesem Zusammenhang stellt sich noch die Frage, wie viele Bewohner der Planet hatte. Die Geretteten werden als Bewohner eines Dorfes bezeichnet, daraus sollte man eigentlich schließen können, dass es noch weitere Dörfer gibt, zumal Worf bei seinem Eintreffen erklärt, dass er "von weit her" kommt und sich die Gruppe damit zufrieden gibt. Auf der anderen Seite heißt es, Nikolai rette ein ganzes Volk. Ist damit gemeint, dass er die Kultur rettet, indem er ähnlich Noah einer Gruppe von Vertretern das Überleben sichert, oder ist damit gemeint, dass die Dorfbewohner bereits einen Großteil der Bevölkerung ausmachen? Eine kurze Erläuterung hätte hier Klarheit verschaffen können, wird aber nicht gegeben.

Obwohl sich die Episode prinzipiell auf den Konflikt zwischen den Brüdern Rozhenko konzentriert, bleibt doch genug Platz für eine vor allem in den Gedanken des Zuschauers geführte Diskussion über Sinn und Unsinn der Obersten Direktive.

Allerdings verwundert Picard hier ein wenig: Er war schon früher bereit, die wichtigste Regel der Föderation zu beugen bzw. zu ignorieren, um eine hilflose Kultur zu retten ("Brieffreunde"), nachdem er von Data überzeugt wurde. Da ist es nicht leicht nachzuvollziehen, wie er sich das anzunehmende Massensterben auf Boraal II (dessen Bevölkerungsdichte nicht genannt wird) im Moment der vollständigen Auflösung der Atmosphäre mit scheinbarer Gelassenheit auf dem Sichtschirm anschauen kann.
Auf der anderen Seite geben seine Mimik und sein Verhalten zu verstehen, dass ihm die Einhaltung der Regeln nicht leicht gefallen sein dürfte.

Markant: Nikolais Frau Dubara wird von Penny Johnson dargestellt, die bei DS9 als Siskos Freundin Kasidy Yates eingeführt werden wird.

So ist eine sehr interessante und teils auch spannende Episode über das titelgebende Thema entstanden, in der man auch wieder etwas über Worfs irdische Familie erfährt. Insgesamt ein gute Episode.

Spannung: 5 SFX: 5 Handlung: 6 Gesamt: 5
Zusammenhänge
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Ausdruck vom: 22. 11. 2024
Stand des Reviews: 15. 11. 2024
URL: http://www.startrek-index.de/tv/tng7_13.htm