Zwei Janeways und ein Zeitkonflikt
von Andrej Schwabe, 14.02.2025
Inhalt:
Durch den Kontakt mit den Nihydron, einer Spezies gewissenhafter
Geschichtsschreiber, wird die Full-Circle-Flotte im
Delta-Quadranten auf die Existenz einer Doppelgängerin von Admiral
Janeway aufmerksam. Sie nennt sich Denzit und führt das
militärische Kommando der Rilnar. Die Rilnar kämpfen gegen die
Spezies der Zahl. Kurioserweise teilen sich beide Spezies den
Planeten Sormana als Heimatwelt. Chakotay gelingt es bei einem
Besuch herauszufinden, dass die Denzit aus einer anderen Zeitlinie
stammt und durch unglückliche Umstände bei den Zahl gelandet ist.
Sie wurde gefoltert und später von den Rilnar befreit und kämpft
seitdem an ihrer Seite.
Admiral Janeway setzt alles daran, mehr über die Denzit
herauszufinden und den Schaden an der Zeitlinie zu begrenzen. Sie
plant, die Denzit in den Alpha-Quadranten zurückzubringen. Doch
auch die Krenim, eine benachbarte Macht mit der Fähigkeit, in den
Verlauf der Zeit einzugreifen, haben offenbar ihre Hände im Spiel.
Kritik:
Das Spiel mit alternativen Realitäten ist bei Star Trek beliebt und
wurde mit der VOY-Folge "Shattered"
auf die Spitze getrieben. Chakotay streift darin mit einer Janeway
durch eine zeit-zersplitterte Voyager. Diese Janeway hatte die
Reise durch den Delta-Quadranten noch vor sich. Chakotay erinnert
sich in diesem Roman an jene Begegnung und ist fest überzeugt,
genau diese Janeway in Form der Denzit vor sich zu haben (und soll
damit auch recht behalten). Zusammen mit ihm lernen wir im
Laufe der Geschichte eine andere, verschlossene und misstrauische
Janeway kennen, die sich offenbar von dem Leben bei Starfleet
verabschieden und in widrigen Umständen einrichten musste.
Kirsten Beyer erzeugt viel Spannung aus der Gegenüberstellung der
Denzit und dem neugierigen Chakotay und besonders der vorsichtigen
Janeway. Als noch interessanter stellt sich die Interaktion
zwischen Tuvok, der von der Titan aus dem Beta-Quadranten geholt
wird (mit Slipstream nur ein kleiner Ausflug!), und den beiden
Janeways heraus, die hier zurecht viel Raum bekommt. Beyer betont
das starke Vertrauensverhältnis sowohl zwischen Tuvok und der
"richtigen" Janeway als auch der Denzit. Dem Vulkanier gelingt es
als einzigem, zur Denzit durchzudringen und ihre Beweggründe zu
erfahren, warum sie auf Sormana bleiben und warum sie sich nicht
der Voyager anschließen möchte. Umgekehrt verletzt Tuvok ihr
Vertrauen in ihn nicht und so behält er viele persönliche
Informationen der Denzit für sich - auch vor Janeway.
Die Denzit hat zusammen mit dem Rilnar Dayne eine Beziehung, aus
der eine Tochter hervorgegangen ist. Unverständlich erscheint mir,
dass Janeway einen solchen Weg beschreitet. Denn Dayne ist
ausgerechnet derjenige, der sie früher lange Zeit als Folterer
gequält hat. Wie kann daraus eine stabile Beziehung entstehen? Ein
weiteres Manko ist in meinen Augen, dass Tuvok stellenweise
ungewöhnlich emotional und brutal dargestellt wird, beispielsweise
als er glaubt, dass Dayne ihre gemeinsame Tochter auf dem Gewissen
hat.
Mit der Logik der Geschichte und teilweise auch der Konsistenz der
Charaktere nimmt Beyer es (wie viele andere Romanautoren) nicht
ganz so genau, wenn dafür große Gefühle und spektakuläre Action
winken. Und man möchte ihr in dieser Hinsicht gerne verzeihen, denn
die letzten beiden Punkte gelingen ihr in den Voyager-Romanen recht
gut und retten diesen Roman vor einem Fiasko.
Der Grund für das Schicksal der Denzit - wenig überraschend auch
für die Voyager-Besatzung - ist eine mächtige
Zeitreise-Technologie. Sie wurde von den Krenim entwickelt, die wir
Zuschauer in "The Year of Hell"
kennengelernt haben. Zeitreisen sind immer wieder ein beliebtes,
aber auch berüchtigtes Thema in Star Trek. Berüchtigt, weil sie
Einfallstor für endlose Logiklöcher sind, und wegen der generellen
Unlogik von Zeitreisen, die nur mit Mühe und Not kaschiert werden
kann. So auch in diesem Roman.
Beyer geht hier von dem traditionellem Konzept in Star Trek aus,
dass es eine primäre Zeitlinie gibt, die offenbar wichtiger und
mächtiger als andere Zeitlinien ist. Das führt dann zu seltsamen
Situationen. Beispielsweise werden andere Zeitlinien materiell
ausgebeutet oder erleiden schwerwiegende Veränderungen bei
zeitlichen Eingriffen. Umgekehrt ist das in der primären Zeitlinie
nicht der Fall, obwohl auch andere Zeitlinien diese
Temporaltechnologie entwickelt haben müssen. Neben dieser Frage tun
sich weitere beachtliche Logiklöcher auf. In welcher Zeitlinie
fehlt jetzt die zweite Janeway/die Denzit? Die Krenim teilen
einfach so mächtige, hochgefährliche Temporaltechnologie mit
anderen Spezies, die den Krenim am Ende selbst gefährlich werden
könnten? Woher kommt der glückliche Zufall, dass die Nihydron
gerade erst jetzt auf die Full-Circle-Flotte treffen und nicht
schon zu Zeiten der TV-Serie? Über Temporalschilde und -portale und
ähnliche unglaubliche Erfindungen, die in diesem Roman ganz
selbstverständlich eingesetzt werden, will ich gar nicht weiter
nachdenken.
Je weiter man Daynes Motivation und die Agenda der Krenim
durchdenkt, desto unverständlicher erscheinen beide. Wie konnten sie
überhaupt an eine Janeway gelangen, die gerade erst in den
Delta-Quadranten gekommen ist? Der Krenim-Raum liegt weit vom
Ocampa-Planeten entfernt - die Voyager hat ihn erst nach drei
Jahren erreicht. Warum es überhaupt Janeway sein musste, wird nicht
befriedigend aufgeklärt.
Außerdem finde ich es schwer zu glauben, dass große Mächte wie die
Kremin das Schicksal anderer Welten so selbstverständlich lenken
können. Ein Beispiel sind die Ränkespiele der Krenim, um die
Feindschaft zwischen den Zahl und den Rilnar zu befeuern.
Entwickeln sich da gar keine eigenen Friedensbestrebungen in beiden
Gesellschaften? Diese Annahme wirkt für mich ein wenig
oberflächlich und aus der Zeit gefallen.
Klar, die Krenim haben mit ihrer Technologie im wahrsten Sinne des
Wortes die Glaskugel in der Hand und können damit auch
entsprechende unpassende Handlungen vorhersehen. Aber kostet das
nicht auch Unmengen von Ressourcen? Und bedeutet es nicht ein hohes
Risiko, immer wieder die Geschichte in ihrem Sinne zu korrigieren?
Man denke nur an Annorax und seine Mission in VOY
"The Year of Hell", deren
Erfolg mit jeder temporalen Intervention aussichtsloser zu werden
schien.
Dayne, der Liebhaber der Denzit, hat offenbar viele Jahre mit ihr
verbracht, damit sie als wichtige Schachfigur ihre zugedachte Rolle
im Plan der Krenim spielt. Mir ist nicht klar, wie die Krenim
Janeway bewegen konnten, überhaupt mit irgendjemandem
zusammenzuarbeiten. Sie bricht gerne mal die Oberste Direktive,
aber in ihrer Situation hätte sie sich doch eher zurückziehen und
ein einfaches Leben aufbauen können, ohne in das Schicksal der
Rilnar eingreifen zu müssen.
Für meinen Geschmack spielt Beyer zu häufig und zu offensichtlich
mit den Erwartungen des Lesers, beispielsweise als am Ende Dayne
mehrere Male die Seiten wechselt. Mal gibt er vor, in Janeways
Interesse zu arbeiten, und verfolgt dann doch heimlich seine eigene
Agenda.
In guter Beyer-Tradition dreht sie im letzten Drittel des Romans
nochmal richtig auf. Es geht neben gediegener Temporal-Action noch
um das große Ganze, denn der Konflikt zwischen den Rilnar und den
Zahl muss beigelegt werden. Und dass am Ende Q auch noch in der
Geschichte rumrührt, setzt der Effektshow unfreiwillig die Krone
auf.
Den Nebenhandlungen wird diesmal wenig Platz eingeräumt, was
angesichts der eher leichten Themen angemessen ist, z.B. wenn
Ensign Icheb und Lt. Bryce sich über die Ordnung im Maschinenraum
in den Haaren haben. Oder wenn wir Harry Kims Versuche verfolgen,
seiner verzweifelten Freundin Nancy Conlon zu helfen, damit
klarzukommen, dass sie im letzten Roman
"Sühne" von einem fremden
Wesen übernommen wurde. Man muss allerdings anerkennen, dass es
Beyer mit der Zeit gelungen ist, eine kohärente Charakterfamilie
aufzubauen, die inzwischen einen gewissen Wiedererkennungswert
besitzt.
Beyer greift mit Zeitreisen wieder ein fantastisches Thema auf und
kocht daraus eine unterhaltsame Geschichte mit einigen spannenden
und manchen vorhersehbaren Winkelzügen. Wieder einmal ist Janeway
die zentrale Figur in einem Roman. Ohne den umständlichen
Krenim-Plot und den damit verbundenen Techno-Quatsch wäre die
Geschichte rund um die Denzit wahrscheinlich persönlicher und
interessanter gewesen, ein erhellender Blick in eine ihrer
alternativen Realitäten.
Infos:
Star Trek: Voyager
Band 12 & 13
Titel: Kleine Lügen erhalten die Feindschaft, 1 & 2 (A Pocket Full of Lies)
Autor: Kirsten Beyer
Erscheinungsjahr: Deutschland: 2018 & 2019, USA: 2016
Deutsche Übersetzung von René Ulmer
Preis: je 14,00 €
Cross Cult Verlag
Mit freundlicher Unterstützung vom Cross Cult Verlag
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Andrej Schwabe.