Star Trek einmal anders
von Andrej Schwabe, 08.05.2003
Star Trek hat viel Einfluss auf das Fernsehen und das Kino
genommen, aber auch auf die literarische Welt, wo es in
Kurzgeschichten und Romanen in Anspielungen auftaucht.
Karl-Josef Durwen (1951 geboren), Professor und Dekan der
Fachhochschule in Nürtingen, hat sich Star Trek zusammen mit
aktuellen Entwicklungen (Internet...) aus philosophischer Sicht
mal zur Brust genommen und einen Roman dazu verfasst. Unter
www.ureda.de gibt es den
entsprechenden Internetauftritt zum Buch zu bestaunen.
Inhalt:
"BEWUSST SEIN" liest Iris plötzlich auf ihrem
Bildschirm. Und bald ist sie zusammen mit ihrer Schwester
Elena in erstaunliche Erlebnisse im Internet und der
virtuellen Spiegelwelt Ureda verstrickt. Sie verlieren Raum,
Zeit und Identität, gewinnen aber ein Bild der Welt, das
Naturwissenschaft und Philosophie zu einer zukunftsweisenden
Sicht vereint.
Kritik:
Leser von Jostein Gaarders
"Sofies Welt" werden den Beginn des Buches wenig
überraschend finden, führt Durwen sie doch fast schon
parallel in die Welt der Philosophie ein. Und so erweckt das
600 Seiten starke Buch auch zunächst den Eindruck, ein
besserer (und teurer) Abklatsch von "Sofies Welt"
zu sein, doch langsam beginnt Durwen mit den Geschehnissen in
"Sofies Welt" zu spielen; so vermutet Iris hinter
dem Philosophen Heureka (das scheinbare Pendant zum
Briefeschreiber aus "Sofies Welt" ) einen
Kinderschänder und überhaupt ist der Umgangston zwischen
ihr und ihren Eltern viel realistischer als der von Sofie,
was ein lockerer Umgang mit der deutschen Sprache beweist:
"Arschloch" , "Scheiße" , "Mutter -
der Haussklave" .
Als Iris und ihre Schwester
immer tiefer in den "philosophischen Sog" geraten,
wird der Leser mit dem sehr anstrengenden Wechsel zwischen
streng-philosophischen Dialogen und dem Problem der
Schwestern konfrontiert, das sie mit der Wirklichkeit
bekommen. Die Dialoge sind (vom Ende des Buches her
betrachtet) sehr clever eingefädelt und auch die Handlung
ist intelligent geführt. Die Mitte des Romans ist der
Spiegel, vor dem die Probleme und hinter dem die Antworten
stehen, die zu neuen Fragen führen. Die philosophischen
Dialoge sind sehr interessant und aufschlussreich, dennoch
ist dieses Buch auf keinen Fall leichte Lektüre, weder im
physischen Sinne (ca. 1kg) noch in Bezug auf den Anspruch.
Und hier sehe ich das größte Problem des Buches: Es ist
nichts für den Leser, der das alles mal nebenbei liest; es
verlangt viel Muse und eine gewisse Vorbildung in
Philosophie, sonst steigt man schnell aus.
Doch ist dies alles gegeben, so beginnt das Buch am Ende
immer verständlicher und spannender zu werden, denn wer
"Sofies Welt" kennt, wird wissen, dass solche
Romane mit einem großen philosophischen Knall enden, der zum
verstärkten Nachdenken über die eigene Welt anregen soll.
Und der ist hier mit Sicherheit sehr gut gelungen.
Und dann wird einem auch klar, woher der kryptische Titel
kommt.
Ein philosophisches Buch -
auch wenn es wie hier ein Roman ist - sollte man nicht so
sehr am schriftstellerischen Talent des Autors messen,
sondern eher an den angebotenen Konzepten der Welt.
Da braucht sich das Buch wirklich nicht vor der Konkurrenz
scheuen, denn die Ideen von Durwen sind - auf den Punkt
gebracht - äußerst faszinierend. Es ist eine völlig andere
Sicht, die Welt zu sehen, als ich sie bisher hatte. Es fällt
schwer das in verständliche Sätze zu pressen, aber ich
schreibe sicher nichts Falsches, wenn ich einfach sage, dass
es ihm um die Vereinigung oder besser um das Nebeneinander
von wissenschaftlichem Reduktionismus und Glauben geht, um
die Vernetzung der Welt, um die Bedeutung des einzelnen
Lebens in der großen Weltgeschichte, um Möglichkeiten und
Realität. Besonders attraktiv finde ich seinen Ansatz,
unsere Sicht der Welt über die biologische und später
psychologische (und soziale) Entwicklung zu erklären. Denn
letztlich werden wir, ob wir es wollen oder nicht, genau
dadurch geprägt. Und da er nicht den Anspruch erhebt,
einzige Erklärung zu sein, hat sich Durwen damit perfekt aus
der Affäre gezogen - im positiven Sinne.
Dabei fiel mir allerdings der kleine Makel auf, dass manche
Einordnung bei ihm etwas extrem ausfällt. Sicher war zum
Beispiel Darwin auch deterministisch, aber ihn allein darauf
zu reduzieren, widerspricht ja schon dessen Theorie, die
viele zufällige Möglichkeiten an Tieren zulässt, die
später in der rauen Natur selektiert werden.
Durwen ist es leicht
anzumerken, dass er sich eingehender mit Science Fiction im
Allgemeinen und Star Trek im Besonderen beschäftigt hat. Als
wichtigster Trek-Charakter taucht Data auf und der Autor
erzählt auf eigenwillige und humorvolle Weise den Beginn der
TNG-Episode
"Decent 1"
("Angriff der Borg 1")
nach, in der Newton, Einstein und
Hawking mit Data pokern. Kritikwürdig ist aber auf jeden
Fall, dass Star Trek als Thema nur am Anfang und am Ende des
Buches auftauchen, so dass ich den Eindruck bekommen habe,
dass ihm erst später wieder eingefallen ist, dass er ja auch
noch was mit Star Trek machen wollte.
Und kurz vor Schluss scheint ihm dann auch noch in den Sinn
gekommen zu sein, zur aktuellen wissenschaftlichen
Entwicklung (Gentechnik, Internet...) Stellung zu beziehen
und das wirkt dann etwas übereilt. Dennoch ist der Schluss
doch ganz hilfreich, weil er noch einmal grob das ganze Buch
zusammenfasst.
Für einen deutschen Autor
jedenfalls ist das Buch phänomenal, zumindest kenne ich
nicht viele deutsche, zeitgenössische Autoren (hier wäre
als Ausnahme
Andreas Eschbach
zu nennen), die ein derart hohes Niveau an Spannung, Anspruch
und Unterhaltung zu bieten haben. Und da klingt Durwens eigenes
Angebot, sein Buch von Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki
verreißen zu lassen, erfreulich. Denn eins wünsche ich dem Buch
auf jeden Fall: viele Leser.
Fazit: Für den satten Preis
von knapp 25 € bekommt man nicht nur ein raffiniertes
Layout geboten, sondern auch tiefe philosophische Probleme.
Und dass das alles mit Star Trek verbunden ist, ist
eigentlich auch nur von Vorteil, weil Star Trek weniger ein
Podium zur großartigen Diskussion philosophischer Theorien
darstellt, sondern eher eine Möglichkeit zu deren
Präsentation und Illustration, was Durwen geschickt
aufgreift und ausnutzt.
(gandalf)
Infos:
Titel: Im Spiegel der Möglichkeiten
Autor: Karl-Josef Durwen
Erscheinungsjahr: 2001 (Deutschland)
Preis: 24,90 € (48,70 DM)
edition tertium, Osterfilden