Faszinierend!
von Andrej Schwabe, 05.09.2003
Handlung:
"Star Trek und die Wissenschaften" ist aufgebaut aus Artikeln, die größtenteils im Rahmen der zwei-semestrigen, interdisziplinären Ringvorlesung "Star Trek als Phänomen der Populärkultur", der Tagung "Star Trek und die Wissenschaften" und des Hauptseminares "Star Trek als populärkultureller Text" 1999/2000 veröffentlicht wurden. Professor Hans J. Wulff und eine Arbeitsgemeinschaft leiteten die Veranstaltungen. Die Artikel behandeln so ziemlich alle wissenschaftlich "verwertbaren" Bereiche aus Star Trek: Technik, Politik, Sprache, Psychologie, Soziologie, Filmwissenschaften, Archäologie...
Kritik:
Es ist ein reizvoller Forschungsansatz, den Professor Wulff gewählt hat. Star Trek wird als Projektionsfläche aktueller Befindlichkeiten und Probleme in der westlich geprägten Gesellschaft angenommen.
Vor allem in der wissenschaftlich gestalteten Grundlage sehe ich eine Stärke der Artikelsammlung: Argumentativ, sehr detailliert (mitsamt anschließendem Quellennachweis, selbst Computerspiele finden Erwähnungen) und ohne größere Vorurteile begegnen die Autoren der Trek-Wirklichkeit und setzen sie sehr kritisch in Beziehung zu unserer Realität, was viele Überraschungen an den Tag treten lässt. Sicherlich ist einiges übertrieben oder "falsch aufgeschnappt" seitens des Autors (der auch nicht alle Folgen gesehen haben kann), aber die besonderen Grundhaltungen der Serien arbeiten die Autoren anschaulich heraus.
Die Qualität der einzelnen Beiträge wechselt verständlicherweise, ist aber häufig durch einen verständlichen, satirisch-humorvollen Grundton ausgezeichnet, manchmal machen einem aber auch die unnötig wissenschaftliche Schreibweise und die stetige Wiederholung bereits fest gestellter Tatsachen arg zu schaffen. Glücklicherweise ist dies ein Manko von einzelnen Artikeln.
Doch worum geht es genau?
Die ersten fünf Artikel des ersten Bandes drehen sich vor allem um technische Fragestellungen, die sich auf verständliche Weise mit den vielen Geräten und Antrieben in Star Trek beschäftigen. Eine für mich bedauerlicherweise absolut sinnfrei gebliebene, linguistische Betrachtung schließt sich daran an.
Das Herzstück der zwei Bücher überschreiben die Herausgeber "Neue Zivilisationen": Die politisch-soziale Auseinandersetzung mit Star Trek. Drei Artikel zu Politik, Kooperation und Lebensweisen bieten einen guten Einstieg zu den darauf folgenden, wirklich heiklen Themen.
Der Politikwissenschaftler Arend Wellmann kommt in seinem Beitrag "Bedingungen des Friedens und die Wirklichkeit der Föderation" zu den ersten Schlussfolgerungen, die das als liberal gehuldigte Gebäude Star Treks ins Wanken bringen: "Denn die kollektive Fantasie der Produzenten, Autoren, Regisseure und Schauspieler von Star Trek überschreitet an keiner Stelle die Beschränkungen der Logik der Gewalt... Star Trek appelliert an gewohnte Muster von Fernsehserien,... erklärt uns, dass Herrschaft, Krieg und Gewalt notwendig seien – gänzlich so, wie es auch unsere ‚Herrschenden’ tun." Harter Tobak, allerdings auch sehr gut begründet und halten wir uns nichts vor, gerade die neueren Serien bestätigen diese provokante These. Aber schon in TOS gab es eine Neutrale Zone. Und wo keine Kommunikation zwischen Feinden besteht, so erläutert Wellmann, kann auch in Zukunft kein Friede sein.
Noch verheerender stellt sich die Sicht des Germanisten Holger Götz heraus, der in seinem Artikel "Speziesmus als Metapher für Rassismus in The Next Generation" überzeugend darlegt, auf welch einfache Art und Weise uns die Produzenten (damals ja auch noch G. Roddenberry) Liberalität vorgaukeln. Star Trek wird als ein Konzept dargestellt, dass seinen Zuschauern/Konsumenten vor allem leichten und unterhaltsamen Genuss bescheren soll, jedoch auf der (neo-) konservativen Schiene. Deutlich wird dieser Widerspruch vor allem dort, wo Schwarze in regulären (wöchentlich wieder kehrende) Führungspositionen fehlen, wie Worf einer "primitiven" Spezies angehören (oft betont innerhalb von TNG) oder lediglich untere, vor allem technische Funktionen ausüben (Geordi). Freilich spiegelt sich darin das (weiße) amerikanische Bewusstsein wider: Haben die Schwarzen nicht heutzutage bereits den Lebensstandard der Weißen erreicht? Muss man dieses Thema denn immer noch diskutieren? Kriegen "die" denn nicht bereits genug staatliche Förderung? Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt übrings auch Michael Moore in seinem genialen, US-kritischen "Stupid White Men".
Ein zweiter Kritikpunkt, den Götz heraus arbeitet, stellt die oft vorurteilsbelastete Präsentation der Außerirdischen dar. Sind nicht nahezu alle Klingonen, Ferengi oder auch Romulaner immer behaftet mit Klischees? Klingonen sind brutal und aggressiv, Ferengi gierig und sexistisch, Romulaner verlogen und undurchsichtig? Sind die Menschen dagegen nicht immer moralisch überlegen und überhaupt besser? Auch hier bleibt der schale Nachgeschmack von ganz und gar nicht fortgeschrittenen Gedanken - von einfachen (konservativen) Scharz-Weiß-Schemen.
Ähnlich krass und wirkungsvoll stellen Rogotzki, Brandt und Pasero ihre Fragen zu den Frauenbildern und Geschlechterrollen in Star Trek. Wenn Janeway inzwischen Admrial ist und Kira ihren Kaffee in Siskos Stuhl schlürft, bedeutet das schon Gleichheit oder Gerechtigkeit? Gerade bei diesen beiden Kernthemen - Sexismus und Rassismus -, scheint Star Trek eher schlecht dazustehen, noch schlechter angesichts der hohen Töne, die es wiederholt spuckt. Ist das eigentlich das, was wir uns als Fans unter einer Gesellschaft der Zukunft vorstellen? Klischee und Konservatismus?
Schwierig gestaltete sich für mich die Lektüre des zweiten Buchbandes, vor allem weil sich die Autoren hier häufig nicht mehr die Mühe machen, für den unbedarften Leser zu schreiben, sondern sich teils völlig in ihren Fachgebieten verlieren. Halbwegs interessante Beiträge kommen vom Medienwissenschaftler Paul M. Hahlbohm über Zitate in Star Trek, von Klemens Hippel über Data als menschlichste Figur aus TNG und vom Psychologe Ulf Brüdigam über eine Studie über Trek-Fans. Messen kann sich das Buch dennoch nicht mit dem ersten Band.
Deutlich wird in beiden Büchern vor allem die grundlegende Natur Star Treks, nämlich die einer wöchentlichen Unterhaltungsserie, die auf von großen Teilen der (amerikanischen) Bevölkerung akzeptierten Werten fußt und oft deren Gefühle und Vorstellungen spiegelt. Dass diese Werte tatsächlich reflektiert werden und nicht einfach nur bestätigt, bezweifeln viele Autoren und werfen damit deutliche Schatten auf die so hochgelobte – oder besser gesagt verklärte – Vision des G. Roddenberry.
Die Bücher eröffnen dem geneigten Leser auf eine "faszinierende" Weise die Augen, sie geben ihm die Möglichkeit, Abstand zu nehmen von seinem geliebten Hobby Star Trek und es mit den Augen der Wissenschaftler zu betrachten. Eigentlich ist es aber vor allem eine Möglichkeit zu sehen, wie Star Trek nicht nur in der breiten Öffentlichkeit sondern vielmehr auch in "Wissenschaftlerkreisen" wahr genommen wird.
Fazit: Der erste Band ist auf jeden Fall sehr empfehlenswert. Beim zweiten sollte der Leser vor allem den sehr hohen Preis von 24,90 € pro Band berücksichtigen.
Infos:
Titel: Faszinierend! Star Trek und die Wissenschaften, Band 1/2
Autor: N. Rogotzki, T. Richter, H. Brandt u.a. (Herausgeber)
Erscheinungsjahr: 2003
Preis: je 24,90 €
Verlag Ludwig, Kiel